Der gute Hirte
- Lisa Holtzheimer
- 7. Mai 2020
- 8 Min. Lesezeit
Vor einiger Zeit hatte ich eine „Begegnung der besonderen Art“. Ich wohnte damals in einem Dorf mitten im Westerwald, und dort im ersten – oder letzten, je nachdem – Haus im Dorf. Neben meinem Haus jedenfalls war nur noch Wiese; und die geht über einen Berg. An dem Tag sitze ich an meinem Schreibtisch und denke nicht Besonderes, als ich plötzlich merkwürdige Geräusche höre – bääh, määh ...
Zuerst hab ich aus dem Fenster geguckt, da war aber noch nichts zu sehen. Als das Mäh und Bäh aber immer lauter wurde, hat mich nichts mehr gehalten, ich bin hinten auf meine Terrasse und sehe auf der Wiese neben meinem Haus … vor lauter Schafen keinen Grashalm mehr.

Ich bin dann schnell wieder ins Haus gesprintet, um meinen Fotoapparat zu holen – so etwas sieht man nicht alle Tage, selbst, wenn man in einem 199-Seelen-Dorf wohnt, wie ich zu der Zeit. Irgendwo am Rande der Schafherde konnte ich auch einen Menschen ausmachen, aber bei der Menge weißer Wolle – soweit das Auge reichte – wirkte der verschwindend klein, der Hirte, oder Schäfer, würden wir wahrscheinlich sagen.
Der Anblick hat mich fasziniert – und manchmal wünsche ich mir, sie kämen mal wieder vorbei. In meiner jetzigen Wohnung im zweiten Stock mitten in einer Kleinstadt ein paar km weiter jedoch relativ unwahrscheinlich ...
Was für eine Vorstellung haben wir eigentlich, wenn wir das Wort „Hirte“ hören? Was assoziieren wir damit?
Wenn wir mal einen Moment die Augen schließen und uns eine Schafherde vorstellen, fällt uns die Antwort bestimmt nicht schwer. Ein Hirte ist jemand, der mit einer mehr oder weniger großen Herde – meistens – weißgelockter, niedlicher und friedlicher Tiere durch die Landschaft zieht, hier und da mal Halt macht, bis das Gras abgefressen ist und ein neuer Futterplatz für die Tiere gefunden werden muss. Um das Bild zu vervollständigen, gehört noch ein Hund dazu – ein Schäferhund natürlich – und vielleicht ein Hirtenstab.
All das ist wohl auch richtig – und doch sind es nur die Äußerlichkeiten. Wenn mich jemand in einen langen Mantel steckt, mir einen Hirtenstab in die Hand drückt und einen Hund zur Seite stellt – dann sehe ich zwar äußerlich aus wie ein Schäfer – naja, wie eine Schäferin – aber je nach meinen schauspielerischen Fähigkeiten würde sich das bestenfalls für einen Film eignen.
Denn ich könnte höchstens eine Schäferin spielen, auch mit dem besten Outfit bin ich noch lange keine. Die Schafherde würde vermutlich nicht mal auf mich reagieren, wenn ich sie rufen würde – vielleicht würden noch einige besonders neugierige Tiere den Kopf heben - so nach dem Motto: Wer bist du denn?, ein paar mutige mich vielleicht beschnuppern. Aber folgen würden sie mir bestimmt nicht, wenn ich mich in Bewegung setze. Wenn der Hund gut ist und die Schafe ihn kennen – vielleicht würde er das noch schaffen - aber ich sicher nicht.
Warum nicht? Warum würden die Tiere nicht mit mir gehen? Ich bin ein absolut tierlieber Mensch, und die meisten Tiere spüren das und erwidern meine Freundschaft freudig. Warum würden die Schafe trotzdem nicht mit mir gehen?
Die Antwort finden wir in der Bibel. In Johannes 10, 2 – 4 steht:
Der aber zur Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe. Dem macht der Torhüter auf, und die Schafe hören seine Stimme und er ruft seine Schafe mit Namen und führt sie hinaus. Und wenn er alle seine Schafe hinausgelassen hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, denn sie kennen seine Stimme.
Aha – die Schafe kennen seine Stimme. Meine kennen sie nicht, darum gehen sie nicht mit mir. Sie kennen die Stimme dessen, von dem sie aus Erfahrung wissen, dass er es gut mit ihnen meint. Er wird sie dorthin führen, wo sie genug zu fressen haben an diesem Tag. Er wird aufpassen, dass sie nicht in Gefahr geraten.
Hierzulande stehen die Chancen, von einem Wolf gefressen zu werden, nicht so gut, aber die Schafe unserer Zeit müssen Straßen überqueren, mit Stacheldrahtzäunen kämpfen oder vielleicht auch gegen bösartige Menschen, die ihnen statt gutem Futter Gift verabreichen – alles leider schon da gewesen. Schafe können so etwas nicht unterscheiden und sich nicht selbst schützen. Ohne ihren Hirten, der sie liebt und es ohne Einschränkung gut mit ihnen meint, wären sie bei solchen Attacken verloren.
Von den Schafen können wir echt was lernen. Ich glaube nicht, dass ein Schaf sich die Frage stellt, ob es der Hirte wirklich gut meint. „Vielleicht - es könnte ja sein, dass heute nicht so sein Tag ist – vielleicht führt er mich heute nicht auf eine saftige Wiese, sondern auf eine betonierte Straße? Ob ich da nicht vielleicht mal besser vorsorge und gleich auf eigene Faust losziehe und mir lieber selbst eine Wiese suche, auf der es saftiges Gras gibt? Nur so zur Sicherheit ...“
Interessante Vorstellung, nicht wahr? Wir lachen – denn uns ist vollkommen klar, dass kein Schaf auf der Welt solche Gedankengänge hat. Ein Schaf vertraut seinem Hirten – ohne Wenn und Aber.
Aber wie ist das mit uns? Wir Christen kennen ja auch jemanden, der von sich selbst sagt:
„Ich bin der gute Hirte und kenne meine Schafe und sie kennen mich“ (Joh 10, 14).
Der das sagt, ist Jesus Christus. Wenn wir ihm unser Leben anvertraut haben, gehören wir zu seiner Herde. Wir sind die „Schafe Jesu“ – ich finde, das ist ein nettes Bild.
Und? Haben wir dieses blinde, absolut unerschütterliche Vertrauen in Jesus? Dass er es wirklich bedingungslos gut mit uns meint? Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das eben oft doch nicht ganz so ist – darum wage ich hier mal zu unterstellen, dass jeder von euch auch Punkte in seinem Leben hat, wo es ihm ähnlich geht.
Es geht mir gar nicht um das generelle Vertrauen in Jesus – das haben wir Christen wohl alle. Aber in so manchen Einzelsituationen neigen wir menschlichen Schafe doch auch recht schnell mal dazu, „vorsichtshalber schon mal selbst unsere eigene saftige Wiese zu suchen“. Die kann bei jedem ganz anders aussehen.
Vielleicht bist du arbeitslos und weißt nicht mehr, woher das Geld kommen soll, um den nächsten Monat, das nächste Jahr, zu überstehen. Keine leichte Situation, ganz bestimmt nicht.
Vielleicht suchst du schon lange nach dem Partner für’s Leben und denkst dir: wenn ich doch keinen Christen finde, warum soll ich denn nicht einen lieben, netten Menschen heiraten, nur weil er nicht an Gott glaubt?
Vielleicht kämpfst du schon lange mit einer Krankheit, wo die Medizin nicht weiter kommt – und jemand hat dir erzählt, dass es einen Wunderheiler gibt, der mit seinem Pendel anderen Menschen in genau derselben Situation geholfen hat. Ausprobieren kann doch nicht schaden ... oder vielleicht doch??
Ich möchte dich ermutigen – wo immer deine saftige Wiese ist, die dir gerade fehlt, mach es wie ein Schaf. Vertraue blind auf deinen Hirten. Der meint es grenzenlos gut mit dir.
Jesus meint es gut! Wenn wir in den Evangelien nachlesen, wie er mit den Menschen, die ihm begegnet sind, umgegangen ist, dann gibt es letztendlich nur einen Konsens: liebevoll, gut meinend, helfend.
Jesus hat niemanden im Stich gelassen, der sich in seiner Not an ihn gewandt hat. Und das waren wirklich viele Leute. Sein Ruf hatte sich ja in kürzester Zeit über das ganze Land verbreitet, und überall, wo er auftauchte, wollten Menschen Hilfe von ihm. Und was tat er? Hat er jemals zu jemandem gesagt: „Sorry, ich bin gerade müde und abgespannt. Kommt doch morgen wieder.“ Lesen wir auch nur einmal in der Bibel, dass Jesus zu einem Menschen sagte: „Dein Problem ist für mich nicht ‘groß genug’ – versuch‘, dir selbst zu helfen.“?
Im Gegenteil. Überall lesen wir, dass Jesus den Menschen geholfen hat. Wir kennen alle die Geschichte von der Speisung der 5000. Das allein schon ist nicht nur ein Wunder, sondern die reinste Fürsorge. Er hätte auch zu den Menschen sagen können, nachdem er ihnen – wir würden heute sagen – eine Predigt gehalten hat: „Liebe Leute, es war schön, euch zu treffen, danke, dass ihr mir zugehört habt. Aber nun wird es Abend – und wir haben alle Hunger. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend – und ich gehe jetzt in den nächsten Fischimbiss und kaufe mir einen Räucheraal.“
Nein, Jesus fragt seine Jünger, ob sie eine Idee hätten, wie diese Riesenmenge Menschen satt gemacht werden kann. Wie es weitergeht, wissen wir alle. Da war ein Junge, der hatte 5 Brote und zwei Fische – die nahm Jesus, dankte seinem Vater im Himmel und ließ sie dann an 10- – 15.000 Menschen verteilen. Und alle wurden satt, und es blieben sogar noch 12 Körbe mit Resten.
Was mich aber „am Rande“ dieser Geschichte noch viel mehr fasziniert, ist ein Satz, der nur ein ganz kleiner Einschub in der Hinführung zu diesem allseits bekannten Wunder ist:
Und er ließ sie zu sich und sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften (Lk 9, 11b).
Hier ist noch nicht mal die Rede davon, dass jemand ihn angesprochen oder darum gebeten hätte, dass Jesus ihn doch bitte heilen möge. Nein, Jesus machte gesund, die der Heilung bedurften. Einfach so.
Jesus sieht deine Not! Er sieht sie, bevor du ihn darauf ansprichst! Er sieht sie sogar schon, bevor du selbst sie vielleicht bemerkst. Du darfst darauf vertrauen, dass Jesus sich deiner Not annimmt.
Trotzdem sollen wir natürlich nicht völlig untätig warten, dass Jesus eingreift. Wenn wir selbst die Nöte kennen und bemerken, dürfen – und sollen! – wir auch für diese Dinge beten. Wir sollen mit Gott darüber sprechen und dürfen ihn um Heilung oder um Abhilfe für jede Sorge in unserem Leben bitten. Hierbei geht es dann weniger darum, so lange zu „betteln“, bis das Problem endlich nach unseren Wünschen geklärt ist, sondern in erster Linie geht es hierbei um die Nähe zu Jesus. Wenn wir beten, mit ihm kommunizieren, kommen wir ihm näher – und in seiner Nähe lösen sich manche Probleme „wie von selbst“ auf. In seiner Nähe bekommen Dinge einen anderen Stellenwert. Je größer uns Jesus wird, desto kleiner und nichtiger erscheinen uns unsere Alltagssorgen.
Aber unsere Sorgen sind Jesus nicht egal. Er sieht sie alle – er kennt sie alle. Er weiß um deine Geldsorgen. Er weiß um deine Einsamkeit. Er weiß um deine Krankheit. Er weiß um deine Ängste um deine Kinder. Und er will helfen! Er will eingreifen, er will heilen! Dessen dürfen wir uns ganz sicher sein!
Nicht immer passiert das genauso, wie wir uns das vorstellen. Nicht immer passiert es sofort, wenn wir beten. Und manchmal erhört Jesus unsere Gebete ganz anders, als wir das eigentlich gerne gehabt hätten – und wie oft schon habe ich im Nachhinein festgestellt, dass es ganz genau richtig war, wie „es dann gekommen ist“. Jesus hat es gewusst und alle Fäden so zusammengeführt, dass „unter dem Strich“ genau das herausgekommen ist, das für mich das Beste war.
Ich möchte dich ermutigen, alles, was dich bewegt, bedrängt, ängstigt, an Jesus abzugeben.
Alle eure Sorgen werft auf ihn; denn er sorgt für euch (1 Petrus 5, 7).
Das gilt auch heute noch – jeden Tag, für jeden Menschen in jeder Situation!
Jesus ist der gute Hirte, der für all das sorgt, was seine Schafe brauchen, damit es ihnen gut geht. Er wird sie nicht im Stich lassen, er wird sie nicht in die Irre führen, er wird nicht genervt sein von unseren Bitten und Sorgen – er will für uns sorgen. Ich möchte ein Schaf sein, das sich um nichts sorgen muss, weil es seinem Hirten vollkommen vertraut. Wollen wir nicht eine Herde gründen?
© Lisa Holtzheimer
Comentarios